01.09.2025 • von Jonas Kellermeyer
Die Delphi Methode in der Zukunftsforschung

Expertenwissen ist in einer stetig komplexer werdenden Welt unverzichtbar: technologische Innovationen, gesellschaftliche Umbrüche und globale Krisen prägen unser tägliches Leben. Um in diesem dynamischen Umfeld handlungsfähig zu bleiben, brauchen Organisationen mehr als nur Bauchgefühl: Sie benötigen fundierte, daten- und wissensgestützte Analysen, um Entwicklungen zu verstehen und zukünftige Szenarien frühzeitig zu erkennen.
Eine der wirkungsvollsten Methoden in der Zukunftsforschung ist die Delphi Methode. Sie bündelt das Wissen von Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen, um daraus robuste, qualitativ hochwertige Prognosen abzuleiten – und damit eine verlässliche Basis für strategische Entscheidungen zu schaffen.
Was ist die Delphi Methode?
Die Delphi Methode wurde in den 1950er-Jahren von der RAND Corporation entwickelt. Ursprünglich diente sie zur Evaluierung militärischer Szenarien, doch schnell wurde ihr Potenzial auch in der zivilen Forschung und Wirtschaft erkannt.
Ihr Kernprinzip ist ebenso einfach wie effektiv:
- Mehrere Runden von Expertenbefragungen
- Anonymisierte Antworten, um Verzerrungen zu minimieren
- Iterative Feedbackschleifen, damit Einschätzungen im Verlauf präziser werden.
Ziel des Ganzen ist es, ein möglichst konsistentes und qualifiziertes Bild zukünftiger Entwicklungen zu erlangen. Dieses strukturierte Vorgehen macht die Methode zu einem verlässlichen Werkzeug für qualitative Prognosen in komplexen Themenfeldern.
Ablauf einer Delphi Studie
Um zu einem Standardwekzeug der Zukunftsforschung zu gereichen, bedarf es einer konzisen und kanonisierten Ablaufbeschreibung einer prototypischen Delphi Studie unter Zuhilfenahme der entsprechenden Delphi Methode.
- Definition des Untersuchungsziels
Ein klarer Fokus ist entscheidend – z. B. „Wie entwickelt sich die KI-Nutzung in europäischen Unternehmen bis 2035?“ - Auswahl des Expert:innen-Panels
Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen werden eingeladen, um verschiedene Perspektiven zu vereinen. - Erste Befragungsrunde
Offene Fragen sammeln Einschätzungen, Hypothesen und relevante Faktoren. - Auswertung und Aggregation
Die Antworten werden anonymisiert ausgewertet und verdichtet. - Zweite Befragungsrunde
Die Expert:innen erhalten eine Rückmeldung der ersten Runde und passen ihre Einschätzungen an. - Konsensfindung
Nach zwei bis drei Runden entsteht ein tragfähiges Bild über Trends, Risiken oder Chancen.
Einsatzbereiche in der Zukunftsforschung
Dass die Delphi Methode und die zugehörigen Studien einen festen Platz in der Zukunftsforschung einnehmen, ist zwar klar. Aber wie genau sieht der konzertierte Einsatz dieses Tools aus? Und welche unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereiche profitieren maßgeblich von einer Delphi Studie?
- Technologieprognosen
In der Technologieentwicklung ist die Delphi Methode ein unverzichtbares Instrument.
Beispiel: Ein internationales Konsortium nutzt eine Delphi-Studie, um zu analysieren, wann Quantencomputer marktreif werden und welche Branchen als erste profitieren könnten. - Politik und Gesellschaft
Regierungen und NGOs setzen Delphi-Befragungen ein, um Antworten auf zentrale Fragen zu finden:
Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf die Arbeitsmärkte?
Wie verändert der Klimawandel Mobilität und Energieversorgung?
Welche gesellschaftlichen Konfliktlinien könnten sich bis 2040 verschärfen? - Innovations- und Unternehmensstrategien
Unternehmen, die Strategic Foresight betreiben, nutzen die Delphi Methode, um Markttrends und Innovationspotenziale zu identifizieren.
Beispiel: Ein Automobilhersteller entwickelt mit Hilfe einer Delphi-Studie Szenarien für die Elektromobilität und leitet daraus Investitionsentscheidungen für Batterietechnologien ab. - Bildung und Future Skills
Bildungsinstitutionen wie die UNESCO haben mit Delphi-Studien herausgearbeitet, welche Kompetenzen („Future Skills“) in den nächsten 10–20 Jahren entscheidend werden. Dazu zählen u. a. kritisches Denken, digitale Resilienz, interkulturelle Kommunikation und der sichere Umgang mit KI. - Gesundheitswesen
Auch im Gesundheitswesen gewinnt die Methode an Bedeutung. Delphi-Studien helfen dabei, neue medizinische Leitlinien zu entwickeln, Prioritäten in der Forschung festzulegen oder den Bedarf an Fachkräften langfristig zu planen.
Stärken und Schwächen der Delphi Methode
Natürlich ist auch die Delphi Methode kein Allheilmittel. Es gibt entsprechend Stärken aber auch respektive Schwächen zu begutachten:
- Stärken
- Breites Expertenwissen: Die Methode kombiniert unterschiedliche Perspektiven und Fachgebiete.
- Strukturierte Konsensbildung: Iterative Feedbackrunden schaffen valide, ausgewogene Ergebnisse.
- Flexibilität: Einsatzfähig in Politik, Wirtschaft, Forschung und Bildung.
- Qualitative Tiefe: Ideal für komplexe Fragestellungen ohne rein quantitative Datenbasis.
- Schwächen
- Zeit- und Ressourcenaufwand: Die Koordination mehrerer Runden erfordert Planung und Moderation.
- Abhängigkeit von der Panel-Qualität: Die Auswahl der Expert:innen bestimmt maßgeblich die Aussagekraft.
- Keine absolute Vorhersage: Die Ergebnisse sind eher heuristische Einschätzungen als klare Garantien.
Die Delphi Methode als strategisches Werkzeug
In der Zukunftsforschung gilt die Delphi Methode als Goldstandard, wenn es um komplexe, interdisziplinäre Fragestellungen geht. Sie bietet nicht nur einen methodischen Rahmen, um unternehmerische Unsicherheiten zu reduzieren, sondern auch eine Möglichkeit, Kreativität und Expertise eingehend miteinander zu kombinieren.
Organisationen, die regelmäßig mit Unsicherheit umgehen müssen – ob in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Wissenschaft – finden in der Delphi Methode regelmäßig ein adäquates Werkzeug, das dabei hilft, strategische Weichenstellungen frühzeitig vorzubereiten und den Wandel zu leben.
Praxisbeispiel: Zukunft der Arbeitswelt
Um dem gesamten Zusammenhang ein wenig Leben zu verleihen, soll nun ein Beispiel aus der Praxis folgen:
Ein europäisches Forschungsnetzwerk führte eine Delphi-Studie zur “Zukunft der Arbeit 2040” durch. Mehr als 50 Expert:innen aus Technologie- und Sozialforschung, Psychologie und Wirtschaft, Politik- und Geisteswissenschaft beteiligten sich.
Das Ergebnis ist eine Betonung flexibler Arbeitsmodelle, die zum Standard werden.
Speziell trainierte KI übernimmt repetitive Aufgaben, schafft aber auch neue Tätigkeitsfelder, vor allem im Zusammenhang mit entsprechender Wartung der nunmehr geschäftskritischen Technologie-Komponenten. Digitale Resilienz und generelle Medienkompetenz werden zu zentralen Bildungsaspekten ausgearbeitet, die bereits frühzeitig vermittelt werden sollen.
Diese beispielhaften Erkenntnisse flossen direkt in politische Empfehlungen und Unternehmensstrategien ein und zeitigten so Effekte, die sich als Grundrauschen unter so gut wie alle gegenwärtigen Entscheidungen legen.
FAQs zur Delphi Methode
- Was ist der Unterschied zwischen der Delphi Methode und einer klassischen Umfrage?
Die Delphi Methode ist iterativ, anonymisiert und auf Konsensbildung ausgelegt – klassische Umfragen liefern dagegen meist nur Momentaufnahmen. - Wie lange dauert eine Delphi-Studie?
Je nach Komplexität zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten. - Wie viele Expert:innen sind zur Durchführung einer Delphi Studie notwendig?
Zwischen 15 und 50 Personen sind üblich. Entscheidend ist weniger die Anzahl als die Diversität und Relevanz der Expertise. - Ist es möglich, die Delphi Methode mit dem Einsatz von KI-Agenten zu kombinieren?
Ja – moderne Ansätze nutzen KI, um Antworten schneller zu analysieren, Muster zu erkennen und qualitative Auswertungen zu beschleunigen.
Fazit zur Delphi Methode in der Zukunftsforschung
Wie wir in diesem Artikel zu zeigen versucht haben, ist die Delphi Methode weit mehr als ein wissenschaftliches Verfahren – sie ist ein praxisnahes Werkzeug für alle, die Zukunft aktiv zu gestalten gedenken. Gerade in der Zukunftsforschung liefert sie Orientierung in unsicheren Zeiten, fördert den Austausch zwischen Disziplinen und schafft die Basis für strategische, interdisziplinäre Entscheidungen.
Ob Technologieprognosen, gesellschaftliche Szenarien oder Innovationsstrategien: Wer heute die richtigen Fragen stellt und Expertenwissen systematisch nutzt, verschafft sich entscheidende Vorteile – und baut sich eigene Möglichkeitskorridore.