04.08.2025 • von Jonas Kellermeyer

GUI, VUI, FUI – Die Zukunft der Interfaces

Dekorative vierblättrige florale Form auf schwarzem Grund

Wir leben in einer Welt, die sich maßgeblich um visuelle Aspekte dreht: man glaubt gemeinhin nur das, was man auch sehen kann. Vom Begriff der Aufklärung, über die Geschichte des klassischen Designs und der Architektur bis hin zur immer grafikintensiveren Computerkultur haben wir einen kollektiven Fetisch für das Sichtbare entwickelt – und es mehr oder minder unterbewusst mit dem Wahrhaftigen gleichzusetzen gelernt. Was ist aber, wenn das, worum es geht, sich gar nicht adäquat abbilden lässt? Wie gestalten wir die Interfaces der Zukunft, die mitunter viel stärker auf der Nutzung anderer Modalitäten (allen voran auf Sprache) aufbauen?

Wie treten wir in der Zukunft mit Technologie in Kontakt?

Um die Frage nach den zukünftig wirksamen Modalitäten zu beantworten, bedürfen wir zunächst einmal einer Analyse der bereits heute absehbaren Veränderungen, allen voran der Interface-Werdung von nahezu allem. Wie es der Medienwissenschaftler Alexander R. Galloway in seinem programmatischen Werk The Interface Effect bereits anmerkte, handelt es sich bei einem Interface weniger um ein Ding, als vielmehr um einen Effekt, der so ziemlich jeder Konstellation von Dingen zugeschrieben werden könne (vgl. Galloway 2012: 36), denn, “to mediate is really to interface” (ebd.: 10). Letzten Endes geht es bei dem Prozess, den wir als interfacing zu beschreiben suchen nämlich darum, eine nachhaltige Verbindung zwischen mindestens zwei Kommunikatoren herzustellen, die es ermöglicht, ein gemeinsames Verständnis zu erreichen. Wir treten tagtäglich mit sozialen Akteuren in Kontakt, ohne dabei auf eine explizit grafische Komponente angewiesen zu sein. Die Art und Weise, wie wir uns beispielsweise durch alltägliche Meetings navigieren, ist in erster Linie auf die natürlich gesprochene Sprache angewiesen. Diese Erfahrung wirft die Frage auf: wenn die Zukunft solchen technologischen Gadgets und Geräten gehört, die in erster Linie durch die Nutzung gesprochener Sprache kontrolliert werden, wie könnte dann ein genormtes UI Design aussehen, das sich durch sämtliche Aspekte der Digitalkultur zieht? 

Einheitliches Design für Voice User Interfaces (VUIs)

Die Herausforderung bei der Gestaltung sprachbasierter Interfaces liegt vor allem in der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes. Sprache vergeht im Moment ihrer Äußerung – sie hinterlässt keine Spuren, keine sichtbaren Orientierungshilfen wie ein Menü, einen Button oder eine Scrollleiste. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Orientierung auf andere Weise zu stiften: durch konsequente Strukturierung, verlässliche Rückmeldungen und ein hohes Maß an Konsistenz in Dialogführung und Sprachwahl.
Ein Voice User Interface darf nicht einfach als Transkription grafischer Konzepte verstanden werden. Stattdessen bedarf es es eines eigenständigen Regelwerks: VUI Design muss auf Prinzipien wie Prompt-Ökonomie, Sprachanpassung, Ambiguitätstoleranz und Adaptivität aufbauen. Nutzer:innen erwarten ein Gegenüber, das nicht nur versteht, was gesagt wird, sondern auch wie etwas gesagt wird – Tonfall, Tempo, Intention. Die semantische Ebene wird ergänzt durch eine paraverbale, die oft ausschlaggebend für die wahrgenommene Qualität des Interfaces ist. Ja, “control always takes place an interface some kind” (Hookway 2014: 11), weshalb es wichtig ist, die Schnittstelle in jedem funktionalen Rahmen mitzudenken. Bei alledem gilt jedoch auch der folgende Zusatz: “Yet the interface is not reducible to control” (ebd.).
Eine der größten Herausforderungen im Bereich der VUIs ist die Balance zwischen systematischer Dialogführung und individueller Freiheit: Soll das System strikt durch ein Menü führen oder offen genug sein, um freie Eingaben zu akzeptieren? Die Lösung liegt meist im sogenannten guided openness – ein Mittelweg zwischen funktionalem Erwartungsmanagement und offenem Handlungsspielraum.

Interfaces zum Hören, Fühlen und Mitdenken

Sobald wir das Sichtbare ausblenden, gerieren sich andere Sinne umso wichtiger: Haptik, Akustik, Rhythmus. Feedback wird nicht mehr über Farben oder Animationen transportiert, sondern über taktile Impulse, Klänge oder sogar Temperaturveränderungen. Besonders spannend wird dies hinsichtlich hybrider Interfaces, die Sprache mit körperlicher Nähe, Raumverortung oder Gestik kombinieren. Die Rolle des UI-Designs erweitert sich in diesem Kontext zur Inszenierung einer multimedialen, multisensorischen Erfahrung, bei der Technologie am eigenen Körper spürbar, dabei allerdings niemals überfordernd dominant wird.
Eine Entwicklung in diese Richtung erfordert nicht nur neue Designsysteme, sondern auch neue Kompetenzen auf Seiten der respektiven Nutzer:innen. Wer UIs für sprach- und haptikbasierte Geräte gestaltet, wird künftig nicht nur Design-Grundlagen und technisches Know-how benötigen, sondern auch ein ausgeprägtes Gespür für Dramaturgie, Kommunikationspsychologie und situative Wahrnehmung. Lasst uns entsprechend nicht mehr von GUIs und VUIs sprechen, sondern von FUIs – Future User Interfaces!

Von GUI und VUI zum FUI – Future User Interface

Die grafische Benutzeroberfläche (GUI) hat über Jahrzehnte unser Denken geprägt: Icons, Fenster, Navigationsleisten und Menüführung lieferten über die Zeit hinweg ein vertrautes Schema, anhand dessen man ich zu verorten wusste. Doch mit dem Übergang in eine Welt ubiquitärer, oft unsichtbarer Interface-Effekte – ob in Smart Homes, Wearables oder intelligenten urbanen Infrastrukturen – gewinnen neue Paradigmen an Bedeutung. Das Pradigma der FUI – der sogenannten “Future User Interfaces” – ist nicht mehr auf den Bildschirm reduzierbar. Es handelt sich vielnmehr um einen Gesprächspartner, ein Raumgefühl, ein erfahrbares Verhalten.
Die Herausforderung wird nicht nur sein, neue Interfaces zu entwickeln, sondern auch ein neues Designbewusstsein zu kultivieren, das es fertig bringt, eine Routine im Umgang mit neuen Schnittstellen zu etablieren. Es geht in einer Zukunft, in der die Welt in ihrer Gänze als Interface gelten kann, darum, nicht allein das Sichtbare, sondern das Erlebbare generell in den Mittelpunkt zu rücken (vgl. Kaerlein 2015).

Fazit: Design jenseits des Sichtbaren

UI Design ohne den Fokus auf sichtbare Aspekte des Displays fordert uns heraus, gängige Seh- und Wahrnehmungroutinen zu hinterfragen und unsere Verbindung zu alltäglicher Technologie auch entlang anderer Sinne zu strukturieren. In einer Welt, in der Technologie zunehmend in unserer sozialen Mitte aufgeht – eine gänzlich eigene Domäne weitgehend ad acta gelegt wird –, rückt die Qualität der jeweiligen Interaktion zusehend stärker in den Vordergrund. Die visuelle Komponente verbleibt häufig lediglich als Verpackung. Natürliche Kommunikationsformen wie gesprochene Sprache, Haptik, Mimik, Gestik und der entsprechende Kontext treten an jene Stelle, die gestern noch von Pixeln und Buttons eingenommen wurde. Ein solcher Shift erfordert nicht nur neue Werkzeuge, sondern vor allem ein neues Verständnis von Gestaltung: empathisch, situativ und multisensorisch. Wer heute für das Unsichtbare gestaltet, formt die solidarische Begegnungs-Kultur von morgen, die gestern noch eine kontrollfixierte Interface-Kultur gewesen ist. Denn weniger herkömmliches Interface bedeutet nicht weniger Verantwortung im Design – im Gegenteil: Wenn Feedback- und Kontrollmöglichkeiten reduziert sind, braucht es umso mehr Antizipation und ethisches Feingefühl in der Gestaltung. Der emphatischen Umweltwerdung der Technologie korrespondiert die Allgegenwart des Interfaces. Last but not least geht es ebenfalls darum, Tools und Entwicklungsmethoden neu zu denken: vom akustischen Wireframe bis hin zum ethischen Prototypen muss mithilfe neuer Herangehensweisen eine Zukunft geschaffen werden, die sich nicht nur sehen, sondern auch multimodal fühlen lassen kann.

Literatur

Galloway, Alexander R. (2012): The Interface Effect. Polity Press, Cambridge.

Hookway, Brandon (2014): Interface. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts.

Kaerlein, Timo (2015): “Die Welt als Interface.” In: Florian Sprenger & Christoph Engemann (Hg.) Internet der Dinge. Über Smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt. Transcript Verlag, Bielefeld, S. 137-162.

Über den Autor

Jonas ist Kommunikationsexperte und zeichnet sich seinerseits verantwortlich für die sprachliche Darstellung der Taikonauten, sowie hinsichtlich aller öffentlichkeitswirksamen R&D-Inhalte. Nach einiger Zeit in der universitären Forschungslandschaft ist er angetreten, seinen Horizont ebenso stetig zu erweitern wie seinen Wortschatz.

Lachender junge Mann mit Brille