24.11.2025 • von Jonas Kellermeyer

Barrierefreiheit im digitalen Zahlungsverkehr: Inklusion, die sich auszahlt

Blau illuminierte Kreditkarten (Abbildung mit Motion Blur)

Digitaler Zahlungsverkehr ist längst keine technische Zusatzfunktion mehr – er ist Teil unserer sozialen Infrastruktur. Wir überweisen, kaufen ein, buchen Dienstleistungen, verwalten Abos. Doch so zentral diese Systeme für unsere ökonomische Teilhabe geworden sind, so prominent ist der blinde Fleck, den wir nur selten benennen: Nicht alle Menschen können die Systeme hinsichtlich des Zahlungsverkehrs problemlos nutzen. Die Gründe hierfür sind vielzählig – Barrierefreiheit ist kein “Nice to Have”, sondern die Grundbedingung dafür, dass digitaler Fortschritt tatsächlich als Fortschritt gelten kann.

Vom Komfort zur Voraussetzung: Warum Accessibility im Payment-System nicht verhandelbar ist

Lange galt Barrierefreiheit als Zusatzfeature, irgendwo zwischen “wir sollten uns mal darum kümmern” und “es steht ja auf der Roadmap”. Doch im digitalen Zahlungsverkehr geht es nicht um Komfort – es geht um ökonomische Selbstbestimmung und damit um einen zentralen Aspekt eines jeden Individuums.
Menschen mit visuellen, motorischen, kognitiven oder auditiven Einschränkungen stehen oft vor Hürden, die unsichtbar bleiben, bis man selbst versucht, ein komplexes Interface ohne Maus, ohne Sehsinn oder ohne Lesekompetenz zu bedienen.

In diesem Sinne bedeutet Barrierefreiheit:

  • Zahlungsprozesse verstehen, ohne durch komplexe Fachsprache ausgebremst zu werden.
  • Interaktionen durchführen, ohne auf präzise Maussteuerung angewiesen zu sein.
  • Beträge sicher eingeben, ohne Angst vor Fehlern durch unübersichtliche Layouts.
  • Informationen wahrnehmen, egal ob per Screenreader, Voice Interface oder vereinfachten Darstellungen.

Es geht damit nicht bloß um Usability. Sondern ganz generell um das Fundament digitaler Teilhabe.

Regulatorik zieht nach – aber lange nicht schnell genug

Spätestens mit dem Inkrafttreten des deutschen Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) in Verbindung mit der bereits seit 2019 geltenden EU-Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) wird klar, dass man in der Politik verstanden zu haben scheint, welche Wichtigkeit der barrierefreien Gestaltung zukommt. Dass gerade ein inklusiv funktionierender Zahlungsverkehr die Grundvoraussetzung für individuelle Unabhängigkeit ist, macht die Verbindung so brisant. Zwischen regulatorischer Idee und operativer Umsetzung liegt derzeit noch ein massives Delta: Da Systeme häufig historisch gewachsen sind, kommen sie nicht ausreichend modular daher, um Accessibility einfach hinzuzufügen, als wäre es ein Feature. Sowohl Banken als auch zahlreiche FinTechs fokussieren sich in ihrer Tätigkeit vor allem auf Geschwindigkeit, Skalierung und Conversion – barrierefreies Design bleibt allzu häufig auf der Strecke. Viele Teams wissen schlicht nicht, wie Accessibility by Design aussehen kann geschweige denn, wie man es umsetzt. Regulatorik schafft Anreize und Pflichten. Doch die Transformation passiert erst dann, wenn in den Unternehmen selbst umgedacht wird.

Design für alle: Accessibility by Design statt Accessibility by Afterthought

Barrierefreiheit im Payment-Prozess bedeutet nicht, Buttons größer zu machen oder Kontraste zu erhöhen. Es bedeutet, Gestaltung als sozialen Prozess zu begreifen.
Um gute Accessibility zu garantieren, müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden:

  • Klare Informationsarchitektur: Schritte müssen logisch und vorhersehbar wirken.
  • Robuste Semantik: Screenreader können nur lesen, was richtig ausgezeichnet ist.
  • Fehlertoleranz: Systeme sollten nicht bestrafen, sondern unterstützen.
  • Mehrkanal-Fähigkeit: Tastatur, Sprache, Touch – die Wahl liegt beim Menschen.
  • Kognitive Entlastung: Weniger Ablenkung, weniger Overload, mehr Klarheit.

Accessibility bedeutet also nicht, Systeme “einfacher” zu machen, sondern sie verständlicher, transparenter und somit letztlich allumfassend menschlicher zu gestalten.

Assistive Technologien sind Katalysatoren – keine Pflaster

Screenreader, Voice Interfaces, Braille Displays, KI-unterstützte OCR–Tools: Assistive Technologien entstehen nicht, um Designfehler zu kaschieren, sondern um komplexe Systeme anschlussfähig zu gestalten. Besonders spannend in diesem. Zusammenhang: KI erweitert dieses Feld weiterhin massiv.
KI kann Eingabehilfen automatisch anpassen (z. B. dynamische Textvergrößerung), Kontraste in Echtzeit optimieren, Transaktionen verständlicher formulieren (z.B. dynamische Erklärungen in einfacher Sprache anbieten), Anomalien nachvollziehbar machen, statt nur vor ihnen zu warnen, User Journeys personalisieren, ohne sie zu verkomplizieren. Barrierefreiheit wird so zu einer Art dynamischer Sensorik – Systeme lernen besser zu verstehen, was Nutzer:innen wirklich brauchen und Nutzer:innen können sich auf die Hilfestellung technischer Systeme verlassen.

Der menschliche Faktor: Vertrauen entsteht durch Transparenz

Zahlungen sind hochsensible Handlungen. Vertrauen ist daher die Währung des digitalen Zahlungsverkehrs. Barrierefreie Systeme schaffen ungleich mehr Vertrauen. Nicht nur können sie klares Feedback geben, das nicht missverstanden werden kann, sie schaffen es auch Bedürfnisse ernst zu nehmen, die sonst unsichtbar bleiben und  geben den Nutzer:innen während des gesamten Prozesses das Gefühl, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Das finale Ziel ist nicht nur ein überaus funktionaler, sondern auch ein angstfreier Zahlungsprozess. Besonders dort, wo es um finanzielle Selbstbestimmung geht, können Fehler teuer sein.

Zukunftsausblick: Ein barrierefreier Zahlungsverkehr ist nicht nur möglich – er ist unumgänglich

Wenn digitale Zahlungsprozesse weiter wachsen, wenn autonomen Systemen samt entsprechender KI sukzessive mehr Verantwortung zugesprochen wird, dann entscheidet der Stand der Barrierefreiheit darüber, wer wirklich teilhaben kann. Damit niemand im Angesicht der sich ausweitenden Digitalisierung außen vor bleibt, muss ein barrierefreies Vorgehen ins Zentrum gerückt werden. Das gilt auch und gerade für ein faires Payment-Ökosystem:

für Banken,
für FinTechs,
für Regulatoren,
für Entwicklungsteams,
und last but not least: für End-Kund:innen.

Zukunft entsteht dort, wo Technologie nicht selbstreferenziell brilliert, sondern nachhaltig verbindet.

Fazit: Ohne Barrierefreiheit keine nachhaltige Innovation

Es geht nicht darum, digitale Zahlungssysteme “schön” aufzusetzen; sie müssen nutzbar, sicher und fair gestaltet sein! Barrierefreiheit sollte dementsprechend nicht als reiner Kostenfaktor und lästiges Add-On betrachtet werden, sondern vielmehr als eine Investition in stabile, vertrauenswürdige, universell anwendbare Systeme.
Wenn wir Barrierefreiheit ernst nehmen, entsteht etwas, das der Finanzbranche seit Jahren fehlt: eine Humanisierung des digitalen Zahlungsverkehrs. Weder Pflicht noch überbordende Regulierung sollten sie treibende Kraft sein. Es geht vielmehr um eine Handlung aus Überzeugung.

Wir haben uns im Rahmen der Digital Euro Innovation Platform als Visionaries hervorgetan und genau diese Aspekte der Barrierefreiheit hervorgehoben. Im vorläufigen Abschlussbericht der ersten Phase könnt ihr entsprechende Vorschläge nachlesen.

Über den Autor

Jonas ist Kommunikationsexperte und zeichnet sich seinerseits verantwortlich für die sprachliche Darstellung der Taikonauten, sowie hinsichtlich aller öffentlichkeitswirksamen R&D-Inhalte. Nach einiger Zeit in der universitären Forschungslandschaft ist er angetreten, seinen Horizont ebenso stetig zu erweitern wie seinen Wortschatz.

Lachender junger Mann mit Brille